Die Journalistin Iris Kroon-Lottes war für die Zeitschrift ECHT Oberfranken im Bildungshaus Weidhausen zu Gast und stellt mit ihrem Bericht in der Februar/März-Ausgabe unser Projekt vor.
Den Artikel haben wir nun für Sie zum Nachlesen:
Einzigartiges Bildungsprojekt im Coburger Land
Vorschulkinder lernen gemeinsam mit Grundschülern
Die Grundschule Weidhausen hat mit ihrem „Bildungshaus“ gemeinsam mit den ansässigen
Kitas „Kleine Welt und „Oase“ ein in Bayern einzigartiges Projekt erschaffen.
Die Naturgeister basteln heute Windräder. Blaue, rote und bunt gemusterte Papierblätter werden kunstvoll geknickt und gefaltet. Die Jungen und Mädchen sind mit Feuereifer bei der Sache. Auf den ersten Blick eine ganz normale Grundschulgruppe, doch wer genau hinsieht, erkennt Altersunterschiede: Jan geht in die zweite Klasse der Grundschule Weidhausen und arbeitet am Tisch mit Maximilian, der zwei Jahre jünger ist als er und die Vorschule der Kita „Kleine Welt“ besucht.
Manchmal braucht er ein bisschen Hilfe bei seiner Bastelarbeit – wenn eine Schere zum Einsatz kommt oder bei Anweisungen, die er nicht versteht. Als Kindergartenkind kann er noch nicht lesen. Jan hilft ihm gerne. Er ist stolz, als Schulkind schon ein bisschen mehr zu können. „Bei uns im Bildungshaus lernen die Jungen und Mädchen selbstständiger und verantwortungsbewusster. Die Schulkinder stehen den Kleineren zur Seite und die Vorschulkinder lernen am Beispiel der Größeren“, erklärt die Rektorin der Grundschule in Weidhausen, Judith Pechtold. Mit ihrem Kollegenteam hat sie zwei energiegeladene Jahre hinter sich. Seit 2015 leitet die engagierte Lehrerin die Grundschule im Landkreis Coburg. Seitdem hat sich dort viel verändert. Die Flexible Eingangsstufe wurde eingeführt und zeitgleich das Bildungshaus Weidhausen ins Leben gerufen. „Damit konnte ein Konzept entwickelt werden, bei dem die örtliche Grundschule und die beiden Kindertageseinrichtungen miteinander kooperieren und auf unterschiedlichen Ebenen zusammenarbeiten“, fasst Judith Pechtold zusammen.
Mit dem Bildungshaus sollen Vorschulkinder leichter den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule schaffen. Lehrerinnen und Erzieherinnen arbeiten dabei Hand in Hand. Einmal pro Woche, immer mittwochs, treffen sich die Vorschulkinder der zwei Kindergärten „Kleine Welt“ und „Oase“ eine Doppelstunde lang mit den Schulkindern aus der ersten und zweiten Klasse. Die Kinder werden auf sechs verschiedene Arbeitsgemeinschaften verteilt: den Naturgeistern und Lebensforschern (Entdecken und Erforschen), den Wirbelwinden (Sport und Bewegung in der Turnhalle), den Kreativmonster (Basteln und Werken), den Dreiecksspringern (Geometrie und Musik) und den Fantasieriesen (Geschichten und Sprache), die sowohl von Erzieherinnen als auch von Lehrerinnen geleitet werden. „Nach einem Schuljahr hat jedes Kind alle sechs AGs durchlaufen und Vieles von und mit anderen gelernt, nicht nur fachlich, sondern auch sozial“, weiß die Schulleiterin. Die Idee ist bisher einmalig in Bayern.
Wer sich in Richtung der Klassenzimmer bewegt, läuft automatisch durch die Lese – oder Buchstabenstraße. Verschiedene Farben zeigen auf, welchen Lesestoff oder welche Materialien die Vorschulkinder oder Erst- und Zweitklässler verwenden dürfen. Alles hat seine Ordnung, ist übersichtlich und anschaulich sortiert. Die Gruppe der Dreiecksspringer grübelt gerade über einer Aufgabe aus der Geometrie. Wann ist eine Figur achsensymmetrisch? Die Kinder sitzen auf einem runden Teppich auf dem Boden und suchen nach Lösungen. Bewegen ist erlaubt, die Kommunikation verläuft trotzdem erstaunlich konzentriert und leise. „Wir haben uns für einen Lernteppich entschieden, weil der Kreis die Aufmerksamkeit konzentriert. Außerdem müssen die Kinder auf diese Weise nicht die ganze Zeit sitzen, sondern können auch einmal eine andere Haltung einnehmen“, erklärt Lehrerin Claudia Lege. Die Lebensforscher treffen sich im Kinderrestaurant, wo auch täglich ein Mittagessen angeboten wird. Hier kochen sie gemeinsam, lernen viel über gesundes Essen und die Nachhaltigkeit der verschiedenen Produkte.
Die Kreativmonster flechten fleißig Freundschaftsbändchen aus bunten Schnüren, eine Aufgabe, die gerade für die Kindergartenkinder kniffelig ist. Da ist gegenseitiges Helfen angesagt. „Manchmal nervt es auch ein bisschen“, gibt Ryan aus der 1. Klasse zu, „aber meistens fühlt sich das an wie Liebe“, ergänzt er strahlend. Fachlehrerin Kerstin Nowak schmunzelt: “Es ist schön, wenn die Großen den Kleineren helfen können. Das gibt ihnen ein gutes Gefühl. Bei uns kann sich jeder einbringen. Wir stärken vorhandene Fähigkeiten und unterstützen die Kinder darin, Schwächen auszugleichen“. Außerdem lernen die Vorschulkinder ganz nebenbei, wie ihr zukünftiges Schulhaus von innen aussieht, wo sich Turnhalle, Fachräume und Toiletten befinden. Der Schuleintritt ist für Kinder ein Meilenstein im Leben, aber auch mit vielen Erwartungen und Ängsten verbunden. In Weidhausen werden deshalb die vorhandenen Synergien positiv genutzt und die Ressourcen aller beteiligten Einrichtungen zusammengeführt, um den ersten Schritt ins Schulleben zu erleichtern.
Im Mittelpunkt steht dabei ein ganzheitliches, integratives Bildungsverständnis. Neben den Schulstunden gibt es zahlreiche Aktionen, die das Miteinander von Kitas, Grundschule, Morgen- und Nachmittagsbetreuung fördern: Das Spektrum reicht von Musik, Schauspiel, Natur und Umwelt bis zu Gesundheitsthemen und Lerntechniken.
Um den Weidhausener Familien eine verlässliche Betreuung zu bieten, schließt sich die verlängerte Mittagsbetreuung an die Unterrichtszeiten der Grundschule an. Die Eltern sind ein wichtiger Bestandteil des Bildungskonzepts, das in Weidhausen gelebt wird. „Wir orientieren uns an der Lebenswelt der Kinder und Familien und versuchen ständig die Mütter und Väter mit ins Boot zu holen“, betont Judith Pechtold. Alle Anstrengungen haben sich bisher bewährt und die Schulleiterin steckt immer noch voller Ideen. Das nächste Projekt steht schon in den Startlöchern: Bald soll die ehemalige Kita-Einrichtung, die derzeit noch leer steht, zu Bildungsräumen für Eltern, Lehrer und Erzieher ausgebaut werden.
Die Grundschule Weidhausen besuchen rund 100 Schüler und Schülerinnen aus der Gemeinde Weidhausen und in einer 4.Klasse auch vier Gastschüler aus Schneckenlohe und Mödlitz. Die Flexible Eingangsstufe kann für „schnelle“ Schüler in einem Jahr durchlaufen werden und für Langsamere in drei Jahren, wobei das dritte Jahr nicht als Wiederholung zählt. Sitzenbleiber und Schulverweigerer gibt es auf diese Weise in Weidhausen nicht. Die Flexible Eingangsstufe und das Bildungshaus sind in Zusammenarbeit mit den staatlichen Schulämtern Coburg, der Regierung von Oberfranken und der Gemeinde Weidhausen, die alleine für Baumaßnahmen insgesamt knapp 750.000 € investiert hat, entstanden. Die Grundidee zum Bildungshaus Weidhausen stammt auf kommunaler Ebene der Bildungsregion Coburg aus dem Projekt „MORO“ = Modell für Raumordnung zur Stärkung des ländlichen Raumes.
Iris Kroon-Lottes, Journalistin bei ECHT OBERFRANKEN